Gleich zum Anfang:
Meiner Meinung gibt es da kein "besser“ , sondern höchstens "besser für einen bestimmten Einsatzzweck“ . Deshalb hier der Versuch die Unterschiede zu erklären.
Vorab:
Alle Kräfte "aus“ dem Fahrzeug (z.B. das Eigengewicht) greifen an der Nabe an und alle Gegenkräfte am Reifen. Der Reifen sei mal als beliebig flach gedacht und seine Federungseigenschaften unterschlage ich. Die Felge ist als kurzes, grosses Rohr mit geringer Wandstärke dargestellt. Nachdem an beiden Rädern etwa das Gleiche geschieht sei nur eines davon betrachtet.
Die Effekte und Zeichnungen sind natürlich stark überzogen dargestellt.
UND:Egal wie es im Sprachgebrauch heissen mag zur Erinnerung:
Wir reden über Speichenräder oder Gussräder! Erklärung und Unterschied finden sich unter dem Link "Felge, Rad und Nabe" (am Beitragsende)
Speichenfunktion
Betrachten wir ein Speichenrad und zwar eine ganz einfache Variante, nämlich die absolut gerade (radial) gespeichte Version mit ganz wenigen Speichen (Bild 5).
1 Im Stand genügt eine Speiche (rot) um das Ganze zu halten. Die Gewichtskraft zerrt die Nabe nach unten, die einzige Speiche ist genau darüber in der Felge eingehängt, überträgt die Kraft auf den Felgenring und der leitet die Kraft bis zum Boden (Bild 5li).
Ruckelt man einen Hauch an dieser Konstruktion, dann fällt sie zusammen weil das System aus dem Gleichgewicht kommt. Ausserdem wird die Gewichtskraft den Felgenring etwas zu einem Oval zusammenziehen (Bild 5mi).
3. Also machen wir links und rechts noch eine Speiche (grün) rein und schon passt es. Diese beiden seitlichen Speichen stabilisieren das System indem sie die Nabe in der Mitte des Felgenrings halten und die seitliche Ausweitung nicht zulassen.
4. Soll das Ganze auch noch rollen, so machen wir eben auch noch die vierte Speiche (schwarz) unten rein.
Das ganze Gebilde verformt sich unter der Gewichtskraft nicht mehr zu einem Oval, sondern es tendiert zu einem Viereck (Bild 5re). Je mehr Speichen wir einziehen, desto formstabiler wird es.
Wirkt von unten ein Kraftimpuls auf die Felge, weil beispielsweise eine Kante überfahren wird, so kann der Felgenring etwas federn. Die jeweils untere Speiche wird dabei etwas aus ihrer Bohrung gedrückt oder wird auf Druck beansprucht (gestaucht) und krümmt sich etwas. Die Konterschrauben in den Nippeln dienen dazu, dass die Speichen ihre "eingestellte“ in der Länge nicht ändern oder lockern können.
Ist dieser Impuls zu stark, bleibt der Felgenring ein "Ei“ . Wenn der Felgenring zusammengedrückt wird muss er irgendwo grösser werden weil der Umfang ja gleich bleibt. Hindern ihn viele, gleichmässig verteilte Speichen daran sich auszuweiten, dann behält er auch länger seine kreisrunde Form, weil er (nicht so leicht) eingedrückt werden kann.
Je mehr Speichen desto stabiler (bei unendlicher Zahl ergibt sich eine Scheibe!) aber auch desto unelastischer wird das Rad.
Bei Gussrädern ist diese Elastizität nicht gegeben. Zwar ist auch im Maschinenbau "alles Gummi“ weil es nur auf die Kräfte ankommt, doch vergleichsweise kann man diese Werte vernachlässigen, zumal festes Aluminium oder (schlimmer) Magnesium nur gering federt und dann schnell bricht.
Seitliche Kräfte 1
Bis jetzt treten nur exakt "himmel-“ oder "erdwärts“ gerichtete Kräfte auf.
Spätestens bei der Kurvenfahrt drängt die Nabe nach aussen, der Reifen haftet fest am Boden (sollte er ;-)) .
Es greift also eine Kraft in der Nabenmitte an, die Felge bleibt "stehen“ . Die Speichen können seitlich keinerlei Kräfte aufnehmen und so wird die Nabe fröhlich pendeln. Also machen wir dieser Sache ein Ende.
Nur geringfügig verbessern lässt es sich, wenn man die Speichen ordentlich spannt. Der Nachteil: Werden sie beim Überfahren einer "Kante“ gefordert, sind weniger Reserven vorhanden und sie reissen schneller (oder müssen dicker sein).
Die seitlich auf die Nabe wirkende Kraft muss ausgeglichen werden. Die senkrecht stehenden Speichen können aber nur Kräfte in ihrer Längsrichtung übertragen. Also muss die Nabe zuerst ein Stückchen aus der Ruhelage (Bild 6) verschoben werden (dabei steigt die Spannung!) um etwas schräg zu verlaufen damit sie überhaupt eine seitliche Kraft übertragen kann. Welche Kräfte dabei wirken zeigt die Resultierende Sie endet erst (fast) im Unendlichen, ist also sehr gross. Abgesehen davon, dass das Fahrverhalten "eierig" sein wird, werden die Kräfte auf die Speiche derart hoch, dass diese reisst.
Besser ist es die Speichen werden etwas länger und wir befestigen sie nicht mehr in der Nabenmitte sondern seitlich. Sind jetzt alle Speichen gleich lang, so hängt die Felge symmetrisch um die Nabe und kann nicht weiter nach unten. Machen wir das auch noch spiegelverkehrt, dann kann sie auch nicht mehr nach oben.
Dabei müssen die Speichen lediglich spielfrei, brauchen aber nicht gespannt sein! (Bild 7; 8re)
Bei Gussrädern ist es etwas einfacher. Deren Speichen sind fix, und so genügt es sie einseitig auszuführen. Wenn die Speichen nur einseitig sind kann man in dem Freiraum wesentlich leichter z.B. Bremsenteile unterbringen. Die Bremskräfte greifen dann in oder nahe der Radsymmetrieebene an und zerren nicht an einem Hebelarm (Bild 8li).
Seitliche Kräfte 2
Jetzt die unterschiedlichen Varianten und Extreme im Vergleich:
Zuerst die schon bekannte gerade Radialspeiche (Bild 9 ganz re), dann
die konventionelle "Normalspeiche" (Bild 9 mi re), gefolgt von
der Kreuzspeiche (Bild 9 mi li)
Verwenden wir die Kreuzspeichentechnik, lenken also auch nicht mehr in der Felgenmitte sondern auch dort an den Rändern an, so sieht man, dass die Zugkräfte in den Speichen radikal geringer werden.
Zum Schluss die theoretisch perfekte Möglichkeit seitliche Kräfte abzuleiten (Bild 9 ganz li). Der Nachteil ist nun natürlich, dass diese Version 4 zwar praktisch immun gegen axiale Kräfte ist, dafür keinerlei radiale Kraftkomponenten verträgt, also genauso wenig praxistauglich ist wie Version 1.
Eine Aussage scheint schon mal möglich: Die konventionelle "Normalspeiche“ ist wohl mehr für die Vertikalbelastung geeignet wie sie beim Enduro- und Crosseinsatz auftritt, die Kreuzspeiche hat bei höheren Seitenkräften Vorteile, bietet aber bei milder Endurobelastung auch noch Reserven.
Ein Gussrad kann man als Kombination aller Varianten betrachten. Im Vergleich fehlt "lediglich“ fast jegliche Elastizität. Das Gussrad ist für die Strasse optimiert.
Verschränkung
Je breiter die Felge ist, desto höher werden die Einflüsse auf die Felgenhörner (die Ränder) (Bild 10). Abgesehen davon, dass eine Kraft die radial auf den Felgenring einwirkt (z.B. die besagte Kante) kann auch eine einseitige Kraft angreifen. Diese kann man sich bei der Kurvenfahrt vorstellen wenn nur einem Felgenhorn belastet wird. Die angreifenden Kräfte versuchen den zylindrischen Felgenring zu einem schrägen Zylinderabschnitt zu verwinden.
Bei der konventionellen "Normalspeiche“ kippt der Ring um die Anlenkpunkte der Speichen an der Felge, bei der Kreuzspeiche ist da, aufgrund der breiten Anlenkungsbasis der Speichen nicht so leicht möglich.
Ebenso erscheint logisch, dass dieser Effekt eher bei breiten Felgen (Strasseneinsatz) als bei schmalen für' s Gelände zum tragen kommt.
Das Gussrad kennt dieses Problem wieder nur theoretisch. Die gleichen Kräfte erhöhen zwar die Materialspannungen, wirken sich aber in der Praxis kaum aus.
Zum Schluss noch die, jetzt schon logische, Überlegung weshalb die Speichen aus seitlicher Betrachtung ebenfalls keineswegs radial sondern über Kreuz angeordnet sind (Bild 11). Auch hier sind Umfangskräfte (neg. / pos. Beschleunigung) nur dann gut zu beherrschen wenn die Speichen nicht nur radiale Kräfte aufnehmen können.
Das Gussrad löst dieses Problem wieder mit seiner Materialsteifigkeit, wobei die höhere Steifigkeit auch irgendwann nachgibt und sich dann nicht verbiegt sondern bricht. Im Bild sind beide Varianten zu sehen. Im Vordergrund etwas verdengelt, im Hintergrund abgerissen.
Die Rede war bisher immer davon, dass es unnötig sei die Speichen zu spannen. Natürlich ist das nicht ganz korrekt.
Das vollkommen radial gespeichte Rad müsste "irre“ gespannt sein damit mal es überhaupt fahren könnte.
Dann wirkt die Vorspannung auch den Verformungen entgegen. Die angreifenden Kräfte haben erst mal diese Vorspannung zu überwinden bevor die Felge Kräfte aufnehmen muss. Auch werden die"unteren“ Speichen nicht in ihren Bohrungen verschoben bevor die spannenden Kräfte nicht überwunden sind.
Da sind Abwägungen zu treffen:
Lieber eine schwere Stahlfelge die wesentlich mehr federn kann ohne sich bleibend zu verformen als eine leichte aus Aluminium? Viele Speichen zugunsten hoher Stabilität oder weniger für verbesserte Federungseigenschaften. Es geht nicht um die Federung des Fahrzeugs, sondern um die Eigenelastizität eines Rades!
Kreuzspeichen für strassenorientierte Fahrzeuge mit relativ breiten Felgen oder konventionelle für "Dreckwühler“ mit schmalen Felgen?
Noch eine Bemerkung zu den Speichen:
Oft kommt die Frage warum"billige verchromte Stahlspeichen“ und nicht solche aus"Edelstahl“ verwendet werden.
Sehr einfache Antwort: Die"billigen Stahlspeichen“ sind um Lichtjahre zugfester und vor allem elastischer als ihre Pendants aus NiRoSta. (LINK!)
Dann machen wir die Speichen doch einfach dicker?
Abgesehen davon, dass viel teueres Material auch viel Geld kostet, wird das Rad dann immer schwerer!
Last not least: Hat ein Gussrad einen Treffer hilft auch kein Al-Doktor. Da hilft nur entsorgen. (1200GS vo 600 EUR; 10/2009). Hat die Felge eines Speichenrades einen ähnlichen Treffer, lässt sich zumindest theoretisch nur die Felge wechseln. BMW sagt zwar auf Anfrage aus, das Einspeichen sei von Hand nicht möglich, verkauft die Felgen dazu aber dennoch einzeln (1200GS vo 260 EUR; 10/2009)
Links
Speiche ersetzen
Stahl contra Edelstahl
Felge, Rad und Nabe