Fakt ist, dass beim Bremsen kinetische Energie in Wärmeenergie umgesetzt wird.

 

Die kinetische Energie ist vorgegeben. Das ist eine Folge aus Masse (vulgo „Gewicht“) und gewünschter Geschwindigkeitsdifferenz. Als Beispiel dient die vordere Bremse der R1110GS.

Setzt man für die erste Stufe der Betrachtung voraus, dass der Aufbau am Bremssattel (=unten) immer gleich sei, dann ist die Überlegung:

Lüftspiel
Die Bremsbeläge dürfen während der Fahrt nicht schleifen, müssen also einen kleinen Abstand zur Bremsscheibe haben. Als gewünschtes Lüftspiel (=Abstand) unterstellen wir kurzerhand 0,3mm.
Überdies nehmen wir vorläufig an die Geber und Nehmerzylinder hätten gleiche Durchmesser (=gleiche Flächen).
Pro Sattel sind 2x2, also insgesamt 8 Kolben vorhanden. Um die Beläge mit diesen 8 Kolben „unten“ erst nur an die Scheibe „anzulegen“ brauchen wir also „oben“ einen Hub von 0,3mm x 8 =2,4 mm weil die Gesamtheit der bewegten Bremsflüssigkeit gleich sein muss.

Leerhub
Davor kommt der (Leer-)Hub der notwendig ist um die Kolbendichtung an der Nachlaufbohrung vorbeizuschieben. Nehmen wir einfach an dies wären 6mm.
Auf 0,3mm x 8 + 6mm =8,4 mm Bewegung des oberen Kolbens passiert unter diesen Annahmen „unten“ also erst mal nix Wirksames.

Kraftaufwand
Unterstellt man, dass ein durchschnittlicher Mensch mit einer halbwegs kräftigen Hand „oben“ am Hebel einen Druck von max. 40 kg aufbringt (Badezimmerwaage nur mit den Händen zusammendrücken; Schlosser, Bauflaschner, Bäcker etc. mit „Eisenhänden“ sind nicht „durchschnittlich“), dürfte das „unten“ zum Bremsen ein bisschen ineffizient sein.
Deshalb wird der Druck „übersetzt“. Interessant sind dabei nicht die Kolbendurchmesser (oben 20, unten 32 bzw.34 mm) sondern deren Flächen (oben ca. 310, unten ca. 800 bzw. 900 mm²).
Unten sind es zwei unterschiedliche Kolbenabmessungen, doch betrachte ich für die überschlägige Betrachtung kurzerhand pro Kolben einen Mittelwert von 850 mm². Es errechnet sich eine Übersetzung von 850/310 = 2,74.
Das bedeutet Zweierlei.
Zum einen wird die oben eingebrachte Kraft um den Faktor 2,74 verstärkt, zum anderen muss der obere Kolben den 8 x 2,74-fachen Weg machen wie ein unterer Kolben („unten“ wird pro Kolben das 2,74-fache Volumen gebraucht!) um ihn zu bewegen.
Das sind dann „oben“ nicht mehr nur 2,4mm Hub um die Kolben anzulegen sondern 0,3mm x 8 x 2,74 = 6,58mm! Inklusive dem Leerhub ergeben sich 0,3mm x 8 x 2,74 + 6mm = 12,6mm Kolbenweg.

Handhebel
Betrachtet man diesen genauer sieht man: Etwa 25mm von Drehpunkt entfernt drückt ein „Stängchen“ auf den oberen Zylinder. Über den „Punkt“ an dem die Handkraft angreift kann man streiten. Ich sage jetzt einfach mal es sind 150mm bis zum Drehpunkt des Hebels. 150/25 bedeutet eine weitere 6-fache Übersetzung!
Wenn jetzt der Weg am Hebel (0,3mm x 8 x 2,74 + 6mm) x 6 = 75,5mm beträgt um die Beläge anzulegen, dann wird es „eng“ :-).
75,5 mm Hebelleerweg ist unrealistisch. Das kann niemand greifen.
Wie sieht es aus wenn wir das Lüftspiel an den unteren Kolben auf 0,1 mm und den Leerhub auf 1,5mm reduzieren? (0,1mm x 8 x 2,74 + 1,5mm) x 6= 22,2mm. Das ist eine zumindest realistische Grösse!

Wir merken:
Bei einer Bremsanlage mit 8 Kolben ist das Gesamtübersetzungsverhältnis bereits deshalb wichtig, weil der Handhebelweg nicht beliebig gross und das Lüftspiel nicht beliebig klein werden kann.
Praxis:
Bei den R1100 beträgt der mögliche Gesamthub des „oberen“ Kolbens nicht 12,6 sondern nur etwa 9,5mm! Der Leerhub beträgt etwa 1,5mm. Das heisst dass bei einem Durchmesser von 20mm maximal (10x10x3,14x8)mm³= 2512 mm³ Fluid bewegt werden können. Berechnet man die Gesamtfläche der „unteren“ Zylinder mit (16x16+17x17)x 3,14 x 4=6845 qmm², dann bewegen sich die unteren Zylinder maximal (2512/6845)mm= 0,37 mm! Passt!
Um 9,5mm Kolbenhub zu gewährleisten muss das Handhebelende bei einer Übersetzung von 6:1 insgesamt(!) etwa 57 mm zurücklegen.

Handkraft
Wenn sich auf ca. 25mm Handhebelweg nichts Wirkliches tut, weshalb muss man Kraft aufwenden um den Hebel zu bewegen?
1 Der Kolben des oberen Zylinders muss, nachdem er eingedrückt wurde „irgendwie“ zurück in die Ausgangslage. Deshalb drückt er, wenn gebremst wird, eine Druckfeder zusammen. Deren Gegenkraft muss überwunden werden.
2 Der Kolben muss gegen den Zylinder abgedichtet werden. Das geschieht mit einer Ringdichtung aus „Gummi“. Hier entsteht beim Verschieben Reibung.
3 Relativ zähe Kupplungsflüssigkeit wird durch eine dünne Leitung gedrückt. Auch hier besteht Reibung.
4 Die „unteren“ Kolben sind durch „Gummiringe“ abgedichtet. Auch hier entsteht Reibung.

Die Beläge liegen an
Wenn die Beläge am „Druckpunkt“ an den Scheiben  anliegen dürfte man den Hebel doch eigentlich nicht weiter ziehen können?
Stimmt, doch offenbar kommen jetzt die Elastizitäten des Systems zu Tage.
Werden konventionelle Gummischläuche gegen Stahlflexleitungen gewechselt ist der Druckpunkt besser definiert zu spüren. Die Gummischläuche sind elastischer als Stahlflex! (LINK Stahlflex kontra Gummi)
Als weitere Einflüsse zur offenkundigen Elastizität tragen wohl Beschichtungen der Belagrückseite (Lack!), Cu-Paste(o.Ä.) und auch die „Gummidichtungen“ der Kolben bei. Im Bild links ein Kolben nachdem er die Nachlaufbohrung „passiert“ hat, rechts der Kolben und seine Dichtung wenn kräftiger (Pfeile) gedrückt wird.
Auch der Bremshebel selbst ist nicht unendlich steif sondern wird sich, speziell bei kräftigen Händen, etwas verbiegen.
Die übliche Bremsflüssigkeit ist unter realistischen Bedingungen nicht komprimierbar.

Bremsdruck
Wie hoch ist der eigentlich? Zumindest über die Grössenordnung lässt sich etwas sagen.
Zieht man mit den 40 Kg am Bremshebel und ist die mechanische Übersetzung 6:1, dann drückt das „Stängchen“ mit 240Kg gegen den Geberkolben. Der hat eine Fläche von 3,14 cm². Daraus ergibt sich ein Druck von (240/3,14)bar = 76 bar (die Rechnung stimmt mathematisch nicht ganz!). Für eine Hydraulik ist das nicht viel. Bagger werkeln mit 400 bar.

Handbremshebel einstellen
Die Bremshebel sind fast immer verstellbar. Hier kommt es zum Dilemma weil ja fast immer nur der Abstand des Griffes verstellt wird. Bei grossen Händen ist es kein Problem.
Bei diesem praxisnahen Beispiel müssen aber ca. 25 mm Betätigungsweg bleiben. Einerseits muss sowohl die Endlage des oberen Zylinders erreicht werden weil sonst keine Bremsflüssigkeit nachfliessen kann und die Bremse dann nicht automatisch nachgestellt wird, andererseits muss der Druckpunkt zuverlässig erreicht werden. Diese Differenz lässt sich durch Einstellung nicht ändern!
Kleine kräftige Hände greifen einfach näher am Drehpunkt. Dort ist die notwendige Kraft zwar höher doch „man hat es ja“. Bei kleinen, schwächeren Händen kann es knapp werden.
Was also kann man tun?
Als Erstes würde ich die rückseitige, dünne Lackschicht der Bremsbeläge entfernen. Obwohl das „nur“ eine dünne Schicht ist, ist sie elastisch. CU-Paste (o.Ä.) wird nur dünn aufgetragen.
Als zweite Massnahme kann man sehen ob sich am Hebel „Luft“ (Spiel) beseitigen lässt.
Bei Maschinen mit I-ABS kann man u.U. mit einem Hebel aus dem Zubehör das Übersetzungsverhältnis absichtlich verschlechtern und so den Weg verringern.
Das Bremssystem so bemessen, dass man bei Ausfall die gesetzliche Mindestverzögerung erreichen kann/muss.
Wer mit „kräftigen Händen“, mit einem I-ABS G1 bei nicht eingeschalteter Zündung, einmal versucht hat voll zu bremsen weiss, dass sich da auch dann „nicht viel tut“ wenn man mit aller Macht reingreift. Folglich ist die „gute“ Übersetzung eigentlich wichtig! Doch was nützt sie wenn kleine, zarte Hände die Bremse im weit häufigeren Normalfall nicht ordentlich ziehen können und im „Fall der Fälle“ ohnehin besser zum Beten gefaltet werden?

Rechnerisch könnte man auf die Idee kommen einfach 4 der 8 Kolben stillzulegen. Der Handhebelweg würde so um ca. die Hälfte verringert! Blöder Weise verringert sich dann auch die auf die Bremsbeläge wirkende Kraft um die Hälfte (nix mit „konzentriert/verteilt sich auf verbleibende Kolben“!!).

„Ja, aber bei der alten 350 ging’s doch problemlos“. Das Argument ist korrekt aber falsch angewendet. Die 350 wog wohl auch nur 140 anstatt 270 kg und die Bremse war mit nur 1 Bremsscheibe ausgelegt.

Kleiner Hinweis:
Bei Schwimmsätteln mit nur 2 Kolben (z.B. hinteren Bremse der 4V) rechnet man mit der doppelten Anzahl. Weshalb? Beidseitig müssen Bremsbeläge „lüften“. Ob das pro Seite(!) je 0,1mm oder einmal 0,2mm sind und sich der Schwimmsattel dann selbst „auf 2x 0,1mm“ ausrichtet (macht er leider nicht immer), ist egal.
Die R1100 hatten die vielgerühmten Radialhandbremszylinder, die neueren Modelle bremsen offenbar besser mit Axialzylindern :-). Ob Radial- oder Axialzylinder ist in Bezug auf die Bremsleistung vollkommen unerheblich und für die Physik nicht relevant.