Jeder Drosselklappenstutzen (DKS) besteht aus zwei, eigentlich getrennten Systemen.

In der Hauptsache aus dem grossen Durchlass mit der Drosselklappe (DK) und dem Einspritzventil.
Parallel dazu arbeitet „um die DK herum“ (also als Bypass) das wesentlich kleiner dimensionierte Leerlaufan-passung/ -hebungssystem mit dem Leerlaufstepper. Diese, nur zeitweilig genutzte, Zusatzfunktion ist hier näher ausgeführt.

Anforderung
Ist der Leerlauf –aus welchem Grund ist egal- zu niedrig oder zu hoch muss er „nachgestellt“ werden
Prinzipiell gibt es 3 Betriebszustände:
Warmlaufphase: Der Leerlauf ist zu niedrig oder der Motor stirbt sogar ab. Teile des Gemischs kondensieren im Ansaugtrakt und erreichen den Brennraum nicht bzw. sind so wenig vernebelt dass sie nicht ordentlich verbrannt werden. Der Leerlauf muss angehoben werden.
Betriebsphase:  Der Leerlauf sollte auch ohne „Nachhilfe“ passen.
Heisslaufphase: Der Leerlauf ist zu niedrig oder der Motor stirbt sogar ab. Die mit geringer Geschwindigkeit eintretende Luft ist/wird bereits im Ansaugtrakt so stark erhitzt (dehnt sich aus!), dass letztlich die Zylinderfüllung nicht mehr ausreicht (zu wenig Gemisch). Der gleiche Effekt tritt in grosser Seehöhe auf. Der Leerlauf muss angehoben werden.

Funktion
Die Leerlaufstepper (Idle Speed Stepper= ISS) sind motorisch betätigte Stellventile. Der Durchfluss durch den Bypass kann ihrer Hilfe geregelt werden. Dieser Bypass wird in erster Linie während der Warm- oder der Heisslaufphase genutzt um zusätzliche Luftmengen fliessen zu lassen.

Für die Betriebsphase sind die DK-Anschläge so eingestellt, dass die DK nicht vollkommen schliessen kann, sondern immer gerade so weit geöffnet ist, damit genügend Durchfluss besteht um den Leerlauf zu gewährleisten.

Leerlaufeinstellung
Bei den R1200 wird der Leerlauf durch Vergleich einer in der Software abgelegten SOLL-Drehzahl mit der jeweils aktuellen IST-Drehzahl durch gleichzeitiges Verstellen der ISS eingestellt (geregelt).
(Bei den R11x0 erfolgt eine evtl. notwendige Leerlaufeinstellung durch synchrones Drehen an den Leerlaufregulierschrauben =Bypassschrauben)
Leerlaufanhebung
Bei den R1200 ist eine gesonderte Leerlaufanhebung überflüssig weil ohnehin eine Regelung erfolgt.
(Bei den R11x0 erfolgt eine evtl. notwendige Leerlaufanhebung indem mit dem Handhebel am Lenker der Seilzugverteiler etwas verdreht wird, auf diese Weise die Drosselklappen geringfügig geöffnet und somit die freien Durchlassflächen etwas vergrössert werden. Die exakt gleiche Wirkung erzielt man durch leichtes Drehen am Gasgriff.)

Stepperaufbau
Jeder der ISS besteht aus einem Mini-Schrittmotor der mit Hilfe einer Gewindespindel das bereits erwähnte Ventil verstellt.
Die Funktionsweise eines Schrittmotors ist unter „Schrittmotor Funktion“(Link) beschrieben.

Nachdem ich kein solches Bauteil einer R1200 hatte, habe ich ein täuschend ähnliches Teil aus einem Citroen zerlegt (Spende Fa. Welling/Rosstal).


Ventilaufbau
Das Ventil ist als gestufter Kegelstumpf vergleichsweise einfach aufgebaut. Die schlankere Stufe mit sehr spitzem Winkel taucht in eine zylindrische Bohrung. Je weiter sie herausgezogen wird, desto grösser wird der Ringspalt.
Die dickere Stufe mit sehr grossem Winkel dient als dichtender Anschlag.

Einstellbarkeit
Vergleicht man das ISS-Ventil mit der Bypassschraube der 11x0, so lässt es sich wesentlich feiner einstellen.
Bei jeweils 0,5mm Hub verbreitert sich der Ringspalt bei dem der R1200um ISS um 0,018, bei dem der R11x0 um 0,138 mm.

Unwägbarkeiten
Die Bewegung der Schrittmotoren erfolgt, wie bereits der Name andeutet, in Schritten. ProSchritt wird die Gewindespindel um 1/8 Umdrehung gedreht. Es erfolgt keinerlei Rückmeldung.
Wird der Schrittmotor am Drehen gehindert weil z.B. die Ventilnadel auf Anschlag gefahren ist, werden zwar weiterhin die Impulse an ihn abgegeben doch führt der Motor sie einfach nicht aus, wird aber auch nicht beschädigt.
Nachdem ja 2 ISS parallel arbeiten, kann es sein, dass zwar beide die gleiche Anzahl Impulse erhalten, einer von ihnen aber nicht alle ausführt weil er (irgendwie) am Drehen gehindert ist. Die am leichtesten verständlichen Gründe sind wohl eingeklemmte Partikel oder ein schlichter Kabelbruch.
Beim Abstellen des Motors werden beide Ventile geschlossen.
Ob die Motronik beim AUF und ZU „mitzählt“ und „weiss“ wie viele Steps nötig sind um die Ventile zu schliessen oder ob ganz einfach eine sehr grosse Zahl von Steps vorgegeben wird ist unbekannt. In letzterem Fall würden die Ventile selbst dann in ihre Ausgangsstellung fahren wenn sie beim Öffnen eine unterschiedliche Zahl der vorgegebenen Steps umgesetzt hätten.
Klemmt z.B. allerdings ein Partikel unter einem Ventilsitz und schliesst dieses deshalb nicht, so ist die Ausgangsposition beim folgenden (Kalt-)Start unterschiedlich! Eine Rückmeldung der tatsächlichen Stellung erfolgt in keinem Fall.

Analogie zu den Drosselklappenstutzen der R11x0
Aus Funktionssicht ist der Aufbau der Bypasssysteme von R11x0 und R1200 identisch.
Der Unterschied besteht lediglich darin, dass die Ventile der R1200 motorisch betrieben, diejenigen der R11x0 von Hand verstellt werden.
Das Bypasssystem der R11x0 dient allerdings (lt. BMW) ausschliesslich dazu die Leerlaufdrehzahl für die Betriebsphase einzustellen aber nicht zur Leerlaufanhebung (s.o. Leerlaufeinstellung / Leerlaufanhebung).

Einige Details sind zu beachten:
Ähnliche Leerlaufstepper werden wahrscheinlich irgendwo im Automobilbau eingesetzt. Eine spezielle Entwicklung nur für „die paar“ Motorräder wäre zu teuer. Angepasst wird bestenfalls die Ventilspitze.
Bei den meisten Autos gibt es nur eine Drosselklappe und auch nur einen Leerlaufsteller. Es ist daher nicht notwendig, dass ein Leerlaufsteller exakt synchron zu einem zweiten arbeiten muss. Ob ein (1) Leerlaufsteller, beim Automotor, toleranzbedingt die Leerlaufdrehzahl auf 1100 oder 1110 Umdrehungen anhebt ist egal.
Sollen beim Boxer (mit ähnlichem Gesamthubraum wie ein Auto 4-Zylinder) 2 Leerlaufsteller synchron arbeiten, so ist nicht egal wenn die beiden Leerlaufsteller etwas unterschiedlich arbeiten weil dann, als Folge, die beiden Zylinder asynchron arbeiten. Für exakten Parallelbetrieb sind die Dinger aber nicht wirklich konstruiert, zumal ein Einzelner nicht für die Zusatzluft des gesamten Boxerhubraums sondern nur für die Hälfte „zuständig“ ist!

Bestreben
Dass ein optimaler Leerlauf beim Boxer nur mit einer sehr exakten Synchronisation erreicht wird ist bekannt.
Um Einflüsse der ISS auszuschliessen, sollten die ISS am besten nur dann arbeiten wenn es unabdingbar ist, jedoch-soweit möglich- nicht im „Normalbetrieb“ (Link 4V2_R1200 Synchronisieren und Leerlauf einstellen)



Links:
4V2 Leerlaufstepper1200
Schrittmotor Funktion
4V2_R1200xx Synchronisieren und Leerlauf