Der Zylinder eines Motors ist kein vollkommen abgeschlossener Raum wie
z.B. eine verschraubte Flasche sondern hat jede Menge mögliche „Schwachstellen“ (=Leckstellen):
Die Ventile können (aus diversen Gründen) undicht sein.
Die Kolbenringe sind keine geschlossenen Ringe sondern haben Stossstellen. Folglich sind sie per se undicht. Im Lauf der Zeit nutzen sie sich zudem etwas ab und verlieren an Spannkraft.
Weder Kolben noch Zylinder sind vollkommen rund. Die Kolben sind häufig etwas elliptisch weil das Dehnverhalten berücksichtigt werden muss. Die Zylinder bekommen nach langer Laufzeit einen „Bauch“, d.h. sie haben in der Mitte einen etwas grösseren Durchmesser als am OT bzw. UT.
Die Zylinderkopfdichtung sollte zwar absolut dicht sein, hat aber u.U. einen kleinen Defekt.
Bei allen Prüfungen sollte der Motor warm sein.
Wie kann man das prüfen?
Sichtprüfung
Zylinderkopfdichtung (nicht die Ventildeckeldichtung!!) dicht oder ölt? Falls ölt >> dichten (erneuern)
Zylinderfussdichtung ölt? >> unangenehm, sollte gedichtet werden, hat aber keinen Einfluss auf die Motorleistung
Kompressionstest
Er ist am bekanntesten. Am zu prüfenden Zylinders wird die Primärkerze durch das Messgerät ersetzt, alle Kerzen aller anderen Zylinder ausgeschraubt, alle Kerzenstecker (auch bei evtl. Sekundärkerzen!!) werden abgezogen. Ganz Sorgfältige ziehen die Stecker der Einspritzventile ab weil der eingespritzte Treibstoff sonst den Ölfilm abwaschen könnte (erhöhte Gefahr eines Fressers).
Es wird einige Sekunden mit dem Anlasser „georgelt“. Darauf achten, dass der Anschluss des K-Messgeräts dicht ist! Das ist kein Witz sondern erlebte Wirklichkeit!
Das Messgerät zeigt einen Wert der normalerweise um den Wert „10“ liegt. Dieser wird dann oft –fälschlich- als Verdichtungsverhältnis interpretiert. Tatsächlich arbeitet der jeweilige Zylinder bei diese Prüfung als Kompressor. Gemessen wird die Druckspitze. Der Messwert taugt nur als Vergleichsgrösse. Nachdem er auch von der Anlasserdrehzahl abhängig ist, sollte der Test mit einer „stabilen“ Batterie durchgeführt werden. Als Vergleichswert dient eine Werksangabe oder, ideal, der bereits nach dem Kauf ermittelte Vergleichswert des gerade eingefahrenen Motors (5..10 Tkm).
Ganz wichtig: Der Wert sollte bei allen Zylindern gleich sein.
Werkangaben:
1100/1150 / 1100S: gut > 10 bar; normal 8,5...10 bar; schlecht < 8,5 bar
1200: gut 10 bar; normal 8,50...10 bar; schlecht <8,5 bar
1200 LC: gut >14 bar; norm al 10...14 bar; schlecht <10 bar
Falls Kompression schlecht:
1…2 cm³ dickflüssiges Öl (Getriebeöl) jeweils kurz vor der Messung durch das Kerzenloch spritzen (aber gleiche Menge / Zylinder!). Die 4-V Boxer haben ein Kompressions(rest)volumen von etwa 60 cm³. Also besteht keine Gefahr, dass das Öl komprimiert würde.
Prüfung wiederholen.
Sinn: Evtl. defekte Kolbenringe entlarven. Das dickflüssige Öl dichtet kurzzeitig eventuell schlechte Kolbenringe ab, die Kompression steigt (während der Messung). Beim Boxer ist dieser Test nicht wirklich eindeutig. Da die Zylinder liegen, kann das Öl evtl. schlechte Kolbenringe nur bedingt kaschieren.
Ergebnis wesentlich besser? >> Kolbenringe defekt
Drucktest
Kolben zwischen etwa 90° vor/nach Zünd-OT stellen, Kurbelwelle blockieren. Statt der Kerze mittels Adapter Pressluft mit etwa 2 bar Druck anschliessen. In dieser Position sind alle Ventile geschlossen, also dürfte keine entweichende Luft zu hören sein, weil sich so das mit Druck beaufschlagte Volumen theoretisch nur sehr langsam ändern kann. „Kolben auf UT“ funktioniert nicht weil hier bereits Ventile geöffnet sind.
Bei undichten Ventile ist ein „Blas-/ Pfeifgeräusch“ zu hören.
Bei Wasserkühlung:
Falls es bei dieser (Druck-) Prüfung im Kühler blubbert, besteht eine -- unerwünschte – Verbindung vom Brennraum zum Kühlsystem (Z-Kopfdichtung). Dies lässt sich auch bei normalem Motorenlauf feststellen! Druck ist während der Verbrennung ja reichlich im Zylinder!
Bei Ölkühlung funktioniert diese Methode nur in Ausnahmefällen, da das Ölsystem normalerweise nicht geschlossen ist (gibt nichts wo es blubbern kann, das Öl läuft nach dem Schmieren / Kühlen drucklos in die Ölwanne) und wird von der Öl(druck)pumpe dort wieder abgeholt.
Auch unliebsame Verbindungen zum Schmierölkreislauf lassen sich deswegen nicht mit dieser Methode feststellen.
Druckverlusttest
Funktionsweise
Der zu messende Zylinder wird auf Zünd-OT gestellt und blockiert, alle Primärkerzen entfernt. Anstelle seiner Primärkerze wird der Messanschluss des Testers eingeschraubt. Der Vordruckanschluss wird mit einer Druckluftquelle verbunden („Pressluftanschluss“).
Der Vordruck wird mit einem Druckregler auf den Vergleichsdruck reduziert. > Ein definierter Volumenstrom fliesst durch die Messreduzierdüse.
Es gibt zwei Extremsituationen:
1 Der Messanschluss ist offen weil „nichts“ angeschlossen ist.
>> Am Messgerät 1 wird der am Druckregler eingestellte (Vergleichs)Druck angezeigt.
Zwar entweicht die Luft der Vergleichsseite durch die relativ kleine Messreduzierdüse doch kann der Druckregler wesentlich mehr Luft nachliefern als entweicht. Durch die Messreduzierdüse fliesst eine konstante Luftmenge pro Zeiteinheit.
Auf der Messseite baut sich kein Druck auf, das Messgerät 2 zeigt „0“.
2 Der Messanschluss ist geschlossen weil z.B. ein Stopfen fest eingeschraubt ist.
>> Am Messgerät 1 wird der am Druckregler eingestellte (Vergleichs)Druck angezeigt.
Weil auf der Messseite die Luft nicht entweichen kann fliesst durch die Messreduzierdüse nur solange Luft bis die Messseite „voll“ ist.
Auf Messseite und Vergleichsseite baut sich der gleiche Druck auf, auch das Messgerät 2 zeigt den eingestellten (Vergleichs)Druck.
Bei baugleichen Instrumenten ist das gleichzeitig der Test ob sie wirklich baugleich sind.
Messsituation
Ein Zylinder ist in der Praxis nie vollkommen dicht. Solange die Leckstellen insgesamt einen kleineren Querschnitt haben als die Messreduzierdüse, wird sich auf der Messseite nur ein kleinerer Druck aufbauen können als auf der Vergleichsseite. Das Verhältnis von Messdruck zu Vergleichsdruck ist ein Mass für den Druckverlust.
Verlust [%] = 100 x (1 minus (Messdruck [2] / Vergleichsdruck [1]))
Die Amis machen es sich einfach: Sie verwenden Messgeräte mit einer 100psi Skala, stellen den Vergleichsdruck (Messgerät 1) auf 100psi und lesen Messgerät 2 ab. Zeigt dieses z.B. 85 (psi) an, dann hat der Zylinder 15% Verlust. Leider wissen viele Anwender durch solche Vereinfachungen oft nicht was sie eigentlich tun.
100psi entsprechen ca. 6,9 bar. Das ist -milde gesagt- „reichlich“. Viele der bei uns üblichen Druckluftversorgungen sind da bereits an ihrer Grenze. Zudem wird die Messung ungenauer!
Also muss der Arbeitsdruck niedriger (z.B. 50psi) eingestellt und der Ablesewert an Messgerät umgerechnet werden.
Für Flugkolbenmotoren bis 1000cu (16,4 l) Hubraum schreibt die FAA in den USA vor, dass diese mit einer Messreduzierdüse mit d= 0,04 in( 1,016 mm); Länge l= 0,25 inl (6,350mm), Ein-Auslasswinkel 60° (also keine scharfkantige Bohrung!) geprüft werden. Bei einem Vergleichsdruck von 80 psi (552 kPa; 5,5bar) sind 60 psi (414 kPa; 4,4bar) minimaler Messdruck akzeptierter Standard.
Auch da sind die Amis spassig. 16 l Hub wird wohl kaum ein einzelner Zylinder haben. Sind ganze Motoren angesprochen wäre die Zylinderzahl (meist 6) hilfreich :-).
Wichtig zu wissen:
Jeder Druckverlusttester arbeitet anders, die Dinger sind also untereinander nur schwer vergleichbar, zumal wenn man nichts über ihren inneren Aufbau weiss.
Die Verlustwerte hängen auch vom Vergleichsdruck ab. Gewünscht sind ausserdem möglichst turbulenzfreie Strömungen durch die Messreduzierdüse weil andernfalls starke Verfälschungen auftreten können.
Die Verlustströmungen durch die Leckagen (Spalten mit harten, abrupten Übergängen) sind fast immer turbulent. Kleine Drücke verursachen weniger Turbulenzen.
Abhängig ist das Ganze auch von der Grösse des Zylinders. Hat er z.B. 100mm Durchmesser und entsprechend grosse Ventile (~35mm), etc., also insgesamt ca 535mm "Dichtlänge", und ergibt sich mit einer 1mm Messdüse ein Verlust von 10% so ist das super. Misst man mit der gleichen Düse einen Modellmotor mit Zylinderdurchmesser 10mm und ermittelt dabei auch 10%, so ist das eine Katastrophe (und ein ungeeignetes Messmittel)! Die in ihrer Gesamtheit kurzen Dichtspalte (28mm) müssten eher als "offen" denn als "dicht" tituliert werden wenn sie die gleiche Luftmenge verlören wie das 100mm Monster.
Wer sich solch ein Messgerät selbst bauen möchte, sollte einen vernünftigen Druckminderer (z.B. von FESTO; ca. 35 EUR) und möglichst grosse, baugleiche Instrumente verwenden. Anzeigebereiche von 4 bar reichen locker aus. „Schätzuhren“ wie sie in Heizkreisläufe eingebaut werden taugen nicht aber im Netz gibt es Brauchbares ab 8 EUR.
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Druckanschluss