Kundenauftrag bei einer 1200GS: Die Kupplung rutscht und rechts tickert irgendwas ganz furchtbar.
Der Kunde gibt an „schon ordentlich“ Gas zu geben.
OK, also Kupplung „fertig“ und Ventile nachsehen.
Alles wieder zusammengebaut, Probefahrt.
Beim Beschleunigen klopft es zwischen 1500 u. etwa 4000 1/min ganz furchtbar, den Mechanikus plagt das Gewissen. Irgendetwas falsch montiert? Schraube nicht festgezogen? Folglich: Alles retour aber es lässt sich kein Fehler feststellen.
Frage an den Kunden und der meint „Ja ja, das ist schon seit 40Tkm, da hat „wer“ auch bereits eine neue Ölpumpe reingemacht aber das war es nicht“.
Der Mechanikus lehnt sich zurück mit dem Wissen „ich war’s nicht, aber es muss sich ja finden lassen“. Ich sinniere „Vielleicht bekommt der Spanner der Hauptsteuerkette keinen/nicht genügend Druck und die gesamte Mimik flattert?“
Folglich den Räderkastendeckel runter und nachgesehen. Doch wie stellt man fest ob der Spanner ausreichend Druck hat?
Doch dann fällt auf, dass die 5 Befestigungsschrauben des Steuerkettenrades an der Nebenwelle allesamt zur Wellenachse hin angeschliffen sind.
Wackelt da die Ausgleichswelle? Kann gar nicht sein, das Ding ist ja vorn und hinten gelagert, die Lager sind OK. Eins davon ist hinten im Block, das andere im Räderkastendeckel. Doch wie ist der Räderkastendeckel positioniert?
Gar nicht! Nur mit zig Schrauben angeschraubt. DAS aber kann gar nicht sein. Es wäre ein ganz übler Konstruktionsfehler! Wieso sind da keine Passhülsen? Der ETK gibt keine Auskunft, auch hier existieren die Hülsen nicht (oder sind irgendwo versteckt).
In der Reparaturanleitung steht auch nix. Wirklich ohne Passbuchsen?
Also am Deckel nachgemessen. Bei 4 von 16 Durchgangsbohrungen besteht die Möglichkeit Hülsen einzusetzen! Am Block sind es zumindest 2 Möglichkeiten (mehr als 2 ist ohnehin überbestimmt!). Jetzt muss ein anderer Motor dran glauben: Runter mit den Deckel, und siehe da, es sind Passhülsen vorhanden.
Vermutung: Irgendwer hat mal den Deckel abgebaut / erneuert und die Dinger vergessen.
12StiRad01t zeigt deutliche Anlassfarben und muss daher irgendwann auf deutlich mehr als 400°C erhitzt worden sein. Auch zu sehen sind die Laufspuren des Wellendichtrings.
Es könnte sein, dass die Festigkeit durch das Anlassen vermindert wurde oder das Rad verzogen ist, was aber scheinbar zu bisher keinem Schaden führte.
12StiRad03t Hier noch einmal deutlicher die Laufspuren die sich, in dieser Form und Ausprägung, nicht bereits nach „10 Minuten“ Laufzeit abzeichnen. Anhand der Rostspuren schliesse ich, dass die Anlassfarben nicht von einer Erwärmung in letzter Zeit stammen.
12-StiRadGeh-01-t zeigt die Einbaulage der Schrauben (hier ohne das von ihnen gehaltene Kettenblatt). Zu sehen sind Berührungsspuren. Nachdem die sichtbaren Schrauben in eine beliebige Bohrung und ohne das Kettenblatt eingeschraubt sind, ist die Lage der Berührungsspuren undefiniert. Die Auffindelage war so, dass die Spuren zum Zentrum wiesen.
12-StiRadSchr-01t zeigt 2 Schrauben. (1) und (2) sind Spuren die zeigen, dass die Schrauben offenbar in 2 unterschiedlichen Einbaulagen verwendet wurden. Sie könnten also einmal gelöst und dann erneut an einer anderen der 5 möglichen Positionen (gelb) eingebaut worden sein.
(4) u.(5) beweisen, dass die Spuren älteren Datums sind, da eine der Spuren deutlichen Rostansatz aufweist.
Sollten die Schrauben z.B. beim Erneuern der Ölpumpe gelöst worden sein, so ist es für mich unverständlich, dass diese „Marken“ nicht auffielen. Sollte der Grund dieses eventuellen Tauschs das starke Beschleunigungsklopfen gewesen sein, so kann dieses dadurch kaum beseitigt worden sein. In diesem Fall wäre es ein untauglicher Reparaturversuch.
2 der 16 (Durchgangs- / Gewinde-Bohrungen) zur Befestigung des Räderkastendeckels (nicht im Bild) sind konstruktiv mit Passbuchsen versehen um die exakte Position des Deckels zum Gehäuse zu gewährleisten. Nachdem der Deckel das vordere Wälzlager der Ausgleichswelle trägt ist deren zentrische Lage zur Nebenwelle von der exakten Position dieses Lagers abhängig.
Mit den Schrauben befestigt man den Deckel zwar, er kann sozusagen nicht verlorengehen und wird auch dicht.
Fehlen, wie im vorliegenden Fall, die Passbuchsen (kein Bild), so kann die Lage des Deckels und somit des Wälzlagers deutlich von seiner SOLL-Position abweichen und bis zu knapp 0,7 mm asymmetrisch stehen. Die ineinander laufenden der Neben- und AGL-Welle (zueinander gegensinnige Drehrichtung; 1,5-fache Drehzahl der Kurbelwelle!) streifen offenbar nicht aneinander und auch die Lager scheinen es, aufgrund des grossen Lagerabstandes, zu verkraften.
Der leicht schräge Einbau könnte das Schwingen der gewollt (!) unrund laufenden Ausgleichwelle verstärken.
„Nur“ der Bund des Zahnrades dengelt offenbar an den Schrauben (roter Pfeil).
Resultat ist das klopfende Geräusch bei höheren Drehzahlen.
Allerdings gibt es lt. ETK nur (noch) je einen Typ Neben- und Ausgleichswelle! Praktisch gibt es aber unterschiedliche! Offenbar sollten, wenn es an dieser Stelle Probleme gibt, Neben- und Ausgleichswelle samt Lagermethode auf die neuere Version umgestellt werden.
Im ETK ist dies wahrscheinlich erst mit Bezug auf eine bestimmte Fgst-Nr zu erkennen:
Nicht zu sehen: Bei den 0307 R1200GS K25 (und den baugleichen Motoren der anderen Typen) ist das vordere Wälzlager der Ausgleichswelle vor dem Zahnrad in den Kettenkastendeckel konstruiert.
Zu sehen: Bei den nachfolgenden Baumustern (ab 0303 R1200GS K25 11) erkannte man anscheinend das Problem mit dem exakt zu positionierenden Deckel, verlegte das Lager, ausgeführt als Gleitlager, hinter das Zahnrad in die Nebenwelle und passte die AGL-Welle an.
Vermutung: Der Mechaniker der mal den Deckel abgebaut / erneuert hat und die Dinger vergass, machte sich keine Gedanken um die Funktion sondern schusselte „blind“. Es war keine freie Werkstatt.